Eine Ausstellung ruft



Es war im März 2001, da sprach ich zu Ramon, dem Muslim: "Eine Einladung kommt zu Dir, eine Ausstellung ruft, komm mit mir in die Mitte der Stadt, Unter den Linden, zur "DEUTSCHEN GUGGENHEIM BERLIN", es wird Dich interessieren und auch freuen, Ramon".


"Was ist das, eine Ausstellung mit arabischen Handschriften?" entgegnete er zweifend, während seine selbstgedrehte Zigarette sich dem Ende neigte, und so musste ich all meine Verführungskünste aufbieten, um ihn dahin zu locken, noch in der UBahn am Halleschen Ufer sah er mich mit großen fragenden Augen an. Als wir die stark abgedunkelten Räume der Ausstellung betraten, wie vom "Stern aus Medina" getroffen, eilte Ramon sofort auf eine der Vitrinen in der Eingangshalle zu, nahm die Brille ab und rieb sich die Augen, er blieb wohl einige Minuten über die Glasscheibe gebeugt dort stehen und ich bemerkte von der linken Seite schauend, wie sich seine wulstigen trockenen Lippen bewegten.



"Sag mal, kannst Du das alles lesen, magst Du es mir übersetzen" flüsterte ich ihm in sein rechtes Ohr. "Klar", und sein Gesicht strahlte wie ein begeisterter Junge aus Damaskus, "das sind HEILIGE TEXTE, die kann ich lesen, warte hier", er begann langsam und bedächtig eine Übersetzung, und nach der vierten oder fünften Vitrine folgte uns beiden ein kleiner Strom von neugierigen, mithorchenden Besuchern, was mich zu der Bemerkung veranlasste, ob Ramon nicht die Hand aufhalten wolle, er lachte und schritt zur nächsten Vitrine im Hauuptraum.



Nach einer Stunde in der Ausstellung hatte ich ihn verloren, die Menschentraube um ihn herum war mächtig angeschwollen, er war in seinen Element: Worte des Propheten, SCHRIFT UND KUNSTHANDWERK IN DER AUSLEGUNG DES KORANS UND KALLIGRAFISCHE INKUNABELN DER OSMANISCHEN BIBLIOTHEKEN, Ramon schwamm geradeu in den Bilderzyklen und Ornamenten dieser einizigartigen und wunderbaren Ausstellung in der Mitte von Berlin, er wolte immer noch tiefer in die Texte eindringen, bis ich ihn bat, mir zum Bahnhof Friedrichstraße zu folgen, um einen Espresso-Café zusammen zu trinken. Er grinste ganz schelmisch, nahm die 3 Postkarten mit den Abbildungen der schönsten Kalligrafien hinunter.



Am Imbiss von "segafreddo" in der Bahnhofshalle setzte er sich auf einen Barhocker und wartete, bis ich ihm den Café brachte, wir beide waren noch ganz erfüllt von der künstlerischen Prächtigkeit dieser Blätter, in seinem Geist und seinem Herzen wogten wohl die Erinnerungen an seine arabische Heimat, seine Kindheit und Jugendzeit in Syrien, all diese Splitter der Vergangenheit tanzten durch seinen "mind". Nachdem er seine selbstgedrehte Zigarette ausgeraucht hatte, brachen wir auf zum Heimweg in die Naunynstraße 60.



Es war ein wunderbarer Tag für uns beide und zurück in der Küche umarmte ich ihn ganz herzlich für dieses Geschenk der Übersetzungen, und überhaupt für die Freude und den begeisterten Ausdruck, den er mir und den anderen Menschen in der Ausstellung dargebracht hatte.